Allgemein ist bekannt, dass im Jahr 1829 die „Gebrüder Glier“ von einer ihrer Handelsreisen eine Mundharmonika nach Klingenthal brachten. Da im genannten Jahr zum ersten Mal eine Mundharmonika vollständig in Klingenthal gefertigt worden ist, nimmt die Geschichtsschreibung das Jahr 1829 als den Beginn dieser Zungeninstrumentenfertigung für Klingenthal an. Doch gaben Carl Friedrich und Johann Wilhelm Rudolph Glier nicht nur den Anstoß für eine neue Entwicklungsrichtung des Instrumentenbaus in Klingenthal, sondern gingen bereits viele Jahre vorher selbst auf ausgedehnte Reisen quer durch Europa, denn die Gliers waren zu dieser Zeit schon etablierte Holzblasinstrumentenmacher und Instrumentenhändler. Als Handelsreisende querten sie den europäischen Kontinent jedoch wenig komfortabel. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es außer Postkutschen kein öffentlich ausgebautes Verkehrsnetz. Es war ein Hundekarren, welcher den Gliers als Transportmittel für Instrumente diente, sie selbst bewegten sich überwiegend zu Fuß. Das Wissen über den Alltag solcher Handelsreisen verdankt die Klingenthaler Geschichtsschreibung einem Brief, welcher sich im Museumsarchiv befindet. Der Tod seines älteren Bruders Carl Friedrich war für J.W.R. Glier Anlass, sich an seine ersten Handelsreisen welche er im Alter von etwa 20 Jahren gemeinsam mit dem Bruder unternahm, zu erinnern. Jener Brief, am 9. November 1858 an die Nichte Emma gerichtet, liest sich wie ein spannendes Reiseabenteuer. Die Textquelle gibt auf neun Seiten Aufschlüsse über damalige Lebensart, wirtschaftliche Geschäftsgebaren und soziale Umstände vor dem Hintergrund der Kontinentalsperre (1806-1813), welche sich damals auch auf den Export der Musikinstrumente auswirkte. Das bekam auch J. W. R. Glier zu spüren, der nach Ende seiner Lehre nach Amerika auswandern und den Glier`schen Überseehandel aufbauen wollte, aber keine Atlantik- Passage erhielt. Stattdessen wanderten die Brüder gemeinsam mit einem Karren voller Instrumente, gezogen von einen „großen, tüchtigen schwarzen Hund namens Mortier“. Der Hund war ein erfahrener Begleiter: „Ich richtete mich mit meinem Karrn und Hund bald ein, der alle Wege und Stege und Wirtshäuser wusste.“ Der ältere Bruder hatte J.W.R. Glier viel versprochen: „da wirst du dich freuen, der ganze Kram (Ware) geht dann fort, schönes Geld wird`s geben, große amerikanische und englische Schiffe wirst du sehen. Sei nicht verzagt, iß und trink recht, fütt`re den Hund gut. In Stettin sollst du concert hören und das Theater sehen. Überall habe ich Freunde, man wird uns überall gern sehen.“ Doch die Reise entlang von Nord- und Ostsee sollte anders werden als angekündigt: Trotz eisiger Kälte von minus 15 Grad Celsius brachen Wagen und Hund in das brüchige Eis der Elbe ein, der ältere Bruder weinte vor Freude, als er den jüngeren samt Hund gerettet in die Arme schließen konnte. Es folgte Wochen später eine lebensgefährliche Überfahrt auf der Eyder, unbedingt mussten sie Tönningen (Friesland) erreichen, um dort Instrumente an Seeleute zu verkaufen. Auf dem Weg nach Preußisch Pommern erfror der jüngere Bruder die Füße, eine Woche mussten die beiden rasten. Danach trennten sich die Wege der Brüder zeitweise. Der noch unerfahrene jüngere Bruder geriet wieder in Gefahr, diesmal in einem Wirtshaus namens „Sandkrug“: „Als ich in diese Mördergrube trat, erschrak ich. Das Gesindel, was ich hier sah und was sie hier machten, ist nicht zu beschreiben. Wie ich aus dem Haus und aus dem Wald kam ist mir heute noch nicht klar.“ Beim Wiedersehen begegnete ihm Bruder Carl Friedrich mit den Worten: „Da bist du ja, ich hatte dich schon aufgegeben!“ Noch einmal versuchte J.W.R. Glier eine Passage nach Amerika zu erreichen, erfolglos. 1811 wieder auf Reise, wurden sie Augenzeugen des Kometen, welcher sich mit einem riesigen Feuerschweif der Erde näherte. Nach Jahren der Abenteuer setzte sich Carl Friedrich schließlich zur Ruhe, heiratete und verbrachte das restliche Leben in „liebenswürdiger Familie“, so berichtet der jüngere Bruder seiner Nichte Emma.
Knapp 60 Jahre nachdem die Gebrüder Glier um 1810 noch mit dem Hundekarren quer durch das Land gezogen waren, hatte die Produktion von Instrumenten in Klingenthal derart große Dimensionen erreicht, dass längst kein Hundekarren mehr zum Transport genügte: Um 1860 wurden in Klingenthal pro Jahr allein 3 Millionen Mundharmonikas hergestellt und 1910 umfasste die Harmonikaproduktion mehr als die Hälfte des gesamten Weltbedarfs. Klingenthal war längst an das Eisenbahnnetz angeschlossen.
Unvergessen blieb den Brüdern ihr treuer Begleiter. Im Brief berichtet J.W.R. Glier abschließend, er habe während einer späteren Reise auch einmal das Grab ihres Hundes Mortier in Rothenburg aufgesucht. Dort hatten die beiden Brüder einst ihren vierbeinigen Gefährten bei Freunden für seinen wohlverdienten Altersruhestand zurückgelassen.
Die Glier-Gruft auf dem Friedhof in Klingenthal macht die Bedeutung der Familie Glier für Klingenthals Geschichte „monumental“. Dabei waren es nicht etwa die Gebrüder Glier selbst, welche sich eine solch auffällige Ruhestätte gewünscht hatten. Fabrikbesitzer Guido Unger aus Taura und verheiratet mit einer geborenen Glier, ließ den Bau nach dem Tod seiner Frau im griechisch-römischen Stilmix in den 1930er Jahren errichten. Der Reichenbacher Bildhauer Arthur Selbmann schuf das Relief, welches drei römische Schicksalsgöttinnen (Parzen) darstellt. Diese spinnen den Lebensfaden, reichen ihn weiter und durchtrennen ihn schließlich. In der oberen linken Ecke ist zudem jenes Glier`sche Wohnhaus, an dessen Stelle heute das Rathaus steht, abgebildet. Allerdings ist hier die historische Wahrheit der heroischen Darstellung im Zeitgeist der 1930er Jahre zum Opfer gefallen. Es ist eben nicht das Haus, in dem die Gliers einst die erste Mundharmonika in Klingenthal bauen ließen, dieses stand vermutlich in unmittelbarer Nachbarschaft.